Es gibt keine dummen Fragen, aber es gibt hilfreiche Antworten
1. Welche Kinder werden an einer Waldorfschule aufgenommen?
Waldorfschulen stehen grundsätzlich allen Kindern offen – unabhängig von Religion, Hautfarbe, Geschlecht und Einkommen der Eltern. Nach ausführlichen Informationselternabenden findet für jedes Kind ein Aufnahmegespräch an der Schule statt. Auch in höhere Klassen können Schüler:innen als Quereinsteiger aufgenommen werden.
2. Wer war Rudolf Steiner und was hat er mit Waldorfpädagogik zu tun?
Rudolf Steiner gründete 1919 die erste Waldorfschule in Stuttgart. Die Idee dazu ging von Emil Molt aus, dem fortschrittlich gesinnten und sozial engagierten Besitzer der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik, der eine Schule für die Kinder seiner Arbeiter einrichten wollte. Inhalt und Methode der Waldorfpädagogik beruhen auf Rudolf Steiners Erkenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Neben der Pädagogik fanden Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Forschungen auch Eingang in die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Medizin und die Kunst.
3. Muss mein Kind musisch begabt sein, damit es für die Waldorfschule geeignet ist?
Nein, die Waldorfschule ist eine Schule für alle Begabungsrichtungen. Wenn Waldorfschüler:innen malen, zeichnen, plastizieren oder bildhauen, geht es dabei nicht so sehr um das Ergebnis, als vielmehr um den Prozess. An dem Prozess erüben die Kinder und Jugendlichen eine Vielzahl von Fähigkeiten über das rein künstlerische Gestalten hinaus. Waldorflehrer:innen sind bestrebt, den Verstand, die Kreativität und die Persönlichkeit ihrer Schüler:innen gleichgewichtig zu entwickeln.
4. Gehen hauptsächlich Kinder mit Lernschwierigkeiten auf eine Waldorfschule ?
Nein. Ausdrücklich nein. Für Kinder, die Teilleistungsschwächen oder Verhaltensstörungen haben, gibt es – wie im staatlichen Schulsystem auch – besondere Waldorfschulen: die heilpädagogischen Förderschulen. An Waldorfschulen, die nicht ausdrücklich solche Sonderschulen sind, lernen Kinder aller Begabungsrichtungen wie an den staatlichen Regelschulen auch, nur dass hier neben intellektuellen Fähigkeiten gleichgewichtig auch soziale und handwerklich-künstlerische Fähigkeiten angesprochen werden.
5. Stimmt es, dass Waldorfschulen immer sehr große Klassen haben?
Das ist von Schule zu Schule verschieden. Die Waldorfschule in Rostock arbeitet mit bis zu 24 Kindern in der Klasse. An unserer Schule haben die Klassen bis zu 36 Kinder. Für die Kinder ist das normal und unproblematisch.
6. Stimmt es, dass es an der Waldorfschule keine Noten und kein Sitzenbleiben gibt?
Auch wenn Waldorfschulen in der Unter- und Mittelstufe auf Noten verzichten, korrigieren die Lehrer:innen selbstverständlich alle Schüler:innenarbeiten. Sie lassen es aber nicht bei dürren Noten bewenden, sondern formulieren individuelle Beurteilungen. In den Zeugnissen gehen die Lehrer:innen ausführlich auf die Persönlichkeitsentwicklungen und auf die Lernfortschritte ihrer Schüler:innen ein. Die Waldorfpädagogik richtet sich nach den Entwicklungsphasen der Kinder und der Jugendlichen. Deshalb ist nicht der Wissenstand, sondern die Gesamtentwicklung entscheidend. Von der ersten bis zur zwölften Klasse bleiben die Schüler:innen nach Möglichkeit selbst dann in einer festen Klassengemeinschaft, wenn ihre Leistungen vorübergehend nachlassen. Niemand bleibt sitzen.
7. Ohne Noten und ohne Sitzen bleiben: Sind die Kinder dann überhaupt zum Lernen motiviert?
Da der Waldorfschulunterricht auf die jeweilige Entwicklungsphase der Schüler:innen abgestimmt und sehr lebensnah gestaltet ist, stellt sich dieses Problem nur selten. Initiative zu entwickeln lernen die Kinder und Jugendlichen nicht aufgrund von Leistungsdruck, sondern aus einer gesunden Motivation heraus.
8. Ist die Waldorfschule teuer?
Obwohl Waldorfschulen erwiesenermaßen besser wirtschaften als Regelschulen, sind sie auf Elternbeiträge angewiesen. Zwar ist im Grundgesetz das Recht auf freie Schulwahl verankert, aber die Zuschüsse der öffentlichen Hand an die Ersatzschulen in freier Trägerschaft sind wesentlich niedriger als die Mittel, die sie für Regelschulen aufwendet. Nachdem die Eltern in Gesprächen die Bedürfnisse der Schule kennen gelernt haben, legen sie ihre Beiträge selbst so fest, dass diese einerseits den Notwendigkeiten des Schulbetriebes, andererseits ihren eigenen finanziellen Möglichkeiten entsprechen. Es ist ein Prinzip der Waldorfschule, kein Kind aus finanziellen Gründen abzulehnen.
9. Ist Waldorfpädagogik nicht so etwas wie das Vorgaukeln einer heilen Welt?
Kommen die Schüler:innen später denn überhaupt mit der harten Realität zurecht? Die Praxis zeigt, dass gerade Waldorfschüler:innen von Ausbildern besonders geschätzt werden. In einer Schule, die nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten anspricht, können sich Schlüsselqualitäten wie Teamfähigkeit, Kreativität und die Fähigkeit, prozessual zu denken, vom ersten Schultag an entwickeln.
10. Welche Abschlüsse können an einer Waldorfschule gemacht werden?
Fachoberschulreife (Sek I)
Die Fachoberschulreife wird nach der 11.Klasse vergeben. Die Schüler:innen nehmen an den zentralen Prüfungen des Landes NRW teil. Diese zentralen Prüfungen werden in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch durchgeführt und sind wie auch die Schuljahresendnoten in den übrigen Fächern Bestandteil des Zeugnisses zur Fachoberschulreife, das die Bezirksregierung in Zusammenarbeit mit der Waldorfschule vergibt.
Hauptschulabschlüsse (Sek I)
Es besteht die Möglichkeit, die Waldorfschule mit einem Hauptschulabschluss 10. Klasse (Sek. I) nach der 11. Klasse zu verlassen. Die Prüfung und die Zeugnisvergabe erfolgt nach dem gleichen Verfahren wie bei der Fachoberschulreife, wobei nur in den Fächern Deutsch und Mathematik zentral geprüft wird
Allgemeine Hochschulreife (Sek II)
Voraussetzung zur Aufnahme in den Abiturvorbereitungskurs ist die Fachoberschulreife mit Qualifikation. Die Schüler:innen, die das Abitur anstreben, werden intensiv und individuell auf die Abiturprüfungen am Ende der 13. Klasse vorbereitet. Von den acht Abiturfächern werden drei zentral und ein Fach dezentral geprüft, zwei mündlich und zwei Endnoten ergeben sich aus den gezeigten Leistungen im Unterricht
Fachhochschulreife (Sek II)
Der Erwerb der Fachhochschulreife erfolgt ebenfalls in der 13. Klasse. Hierbei werden die erreichten Prüfungsergebnisse unter anderen Kriterien gewichtet und bewertet.
11. Die Waldorfschulen nennen sich "freie Schulen". Heißt das, dass die Kinder dort antiautoritär erzogen werden?
Nein. Waldorflehrerinnen und -lehrer bauen im Gegenteil in der Unterstufe ein von „liebevoller Autorität“ geprägtes Verhältnis zu ihren Schüler:innen auf. Kinder suchen ihre Grenzen. Nur wenn sie ihre Grenzen von den Erwachsenen erfahren, fühlen sie sich einerseits sicher und erleben sich andererseits als eigene Persönlichkeit. Im Laufe der Schulzeit wandelt sich das Lehrer:in-Schüler:in-Verhältnis mit der Entwicklung der Heranwachsenden. „Frei“ bedeutet in diesem Zusammenhang auch „freie Trägerschaft“ im Gegensatz zu den staatlichen Schulen öffentlicher Trägerschaft. Andere Schulen in freier Trägerschaft sind z.B. konfessionelle Schulen. Schulen in freier Trägerschaft sind auch sogenannte staatlich anderkannte Ersatzschulen und werden vom Grundgesetz geschätzt und geschützt als Garanten für eine Bildungsvielfalt.
12. Warum haben die Kinder in den ersten acht Schuljahren nach Möglichkeit ein und den:dieselben Klassenlehrer:in?
In einer Gemeinschaft, die von Beständigkeit und Rhythmus geprägt ist, können Kinder sich gesund entfalten. Um ihnen darin eine verlässliche Stütze zu sein, begleitet ein:e Waldorf-Klassenlehrer:in seine:ihre Klasse nach Möglichkeit acht Jahre lang durch den Hauptunterricht, der die ersten beiden Stunden eines Schulvormittags in Form von Epochenunterricht umfasst. Dabei lernt er:sie seine Schüler:innen sehr gut kennen und kann individuell auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.
13. Kann ein:e Lehrer:in in allen Fächern überhaupt qualifizierten Unterricht erteilen?
Für Lehrer:innen an Waldorfschulen gibt es eine eigene Ausbildung, die in einem Vollzeitstudium oder auch berufsbegleitend auf die besonderen Erfordernisse des Waldorfschulunterrichts vorbereitet. Klassenlehrer:innen begleiten ihre Klasse (1-8) über mehrere Jahre und erteilen jeden Morgen in den ersten beiden Schulstunden den Hauptunterricht – jeweils ein Fach über mehrere Wochen (Epochenunterricht). Nach zwei Stunden Hauptunterricht übernehmen Fachlehrer den Unterricht in Fremdsprachen, Sport, Eurythmie, Musik, Religion und in den handwerklichen Fächern. In der Unter- und Mittelstufe geht es an der Waldorfschule nicht um die Fülle reinen Fachwissens. Vielmehr liegt der Schwerpunkt darauf, dass die Schüler:innen eine lebendige Beziehung herstellen zu dem, was sie lernen, was sie sind und was sie an der Welt erleben. Auf diese kann Lernen Freude machen – ein Leben lang.
14. Was ist unter Epochenunterricht zu verstehen?
In den ersten beiden Stunden eines Schulvormittags behandeln Waldorflehrer:innen ein Stoffgebiet in Epochen über mehrere Wochen hinweg. So haben die Schüler:innen zum Beispiel drei Wochen lang jeden Tag zwei Stunden Geschichte, dann wieder drei Wochen lang zwei Stunden Mathematik, usw. Sie können sich auf diese Weise intensiv mit einem Stoffgebiet verbinden. Grundfertigkeiten wie etwa Rechnen oder Schreiben festigen die Schüler:innen über den Epochenunterricht hinaus in fortlaufenden Übungstunden.
15. Worin unterscheiden sich Waldorfschulen denn überhaupt von anderen Schulen?
Der Unterricht an einer Waldorfschule ist nicht einseitig auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Waldorfschulen wollen verstandesmäßige, kreative, künstlerische, praktische und soziale Fähigkeiten bei den Kindern und Jugendlichen gleichmäßig entwickeln. Vom ersten Schuljahr an lernen Waldorfschüler zwei Fremdsprachen. Jungen und Mädchen stricken, nähen und schneidern gemeinsam in der Handarbeit und sägen, hämmern und feilen gemeinsam im Werkunterricht.
16. Wie werden die Jugendlichen in der Oberstufe auf die Berufswelt vorbereitet?
Während der ganzen Oberstufe werden die Schüler:innen in allen Fächern von Fachlehrer:innen unterrichtet. Die handwerklichen Fähigkeiten, die sie sich über die gesamte Schulzeit hinweg haben aneignen können, werden von der 8. Klasse an durch mehrere Praktika ergänzt: In einem Landwirtschafts- und einem Forstpraktikum, einem Feldmess-, einem Betriebs- und einem Sozialpraktikum erhalten die Schüler:innen eine ausgesprochen lebensnahe Ausbildungsgrundlage. Dabei liegt der eigentliche Sinn der Praktika nicht in der Berufsfindung, sondern im Erüben sozialer und persönlicher Fähigkeiten, wie sie in der Schule nicht vermittelt werden können.
17. Kommt die Vorbereitung auf die Abschlüsse nicht zu kurz, wenn an der Waldorfschule so viele Praktika stattfinden, wenn Theater gespielt und handwerklich gearbeitet wird?
Es ist richtig, dass diese Aktivitäten zusammen mit dem Lernpensum in manchen Schuljahren eine Doppelbelastung für die Schüler:innen bedeuten. Hier müssen immer wieder individuelle Lösungen gefunden werden. Tatsächlich liegen die Waldorfschulen aber – was die Abschlüsse angeht – gleichauf mit den staatlichen Regelschulen, meist liegen sie sogar über dem Durchschnitt.
18. Spielen die Naturwissenschaften an der Waldorfschule überhaupt eine Rolle? Und wie stehen die Waldorfschulen zum Umgang mit dem Computer?
An der Waldorfschule stehen die naturwissenschaftlichen Fächer gleichgewichtig neben allen anderen Unterrichtsfächern. Das Fach Informatik ist fester Bestandteil an der Waldorfschule, wobei die Pädagogen Wert darauf legen, dass sich die Kinder, bevor sie die virtuelle Welt kennen lernen, mit der natürlichen Welt vertraut machen und ihre sozialen und schöpferischen Fähigkeiten an ihr entwickeln. In der Oberstufe ist der Umgang mit der Soft- und Hardware für fast jede:r Waldorfschüler:in eine Selbstverständlichkeit.
19. Werden die Kinder an der Waldorfschule weltanschaulich unterrichtet?
Die Waldorfschule ist konfessionell nicht gebunden. Zunächst entscheiden die Eltern, welchen Religionsunterricht ihr Kind besucht, später entscheiden die Jugendlichen selbst. Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Erkenntnisse sind zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Unterricht.
20. Was hat es mit dem Fach Eurythmie auf sich?
Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die an Waldorfschulen in allen Klassen unterrichtet wird und die Körper- und Raumwahrnehmung fördert. Im Unterschied zu gymnastischen, pantomimischen oder tänzerischen Bewegungen, die völlig frei gestaltet werden können, gibt es in der Eurythmie für jeden Buchstaben und jeden Ton eine ganz bestimmte Gebärde. In der Lauteurythmie stellen die Schüler:innen zum Beispiel dar, was in einem Gedicht an Lauten und in der Toneurythmie, was in den Tonintervallen einer musikalischen Komposition lebt.